Abgrenzen - Nein sagen
Sich abzugrenzen bedeutet, für sich und die Erfüllung seiner ganz individuellen Bedürfnissen, Wünsche und Ziele einzustehen. Das hat nichts mit Egoismus, Egozentrik oder mangelndem Mitgefühl zu tun, sondern mit Achtsamkeit für sich selbst und einer gesunden Balance zwischen Geben und Nehmen.
Kommt jemand mit einem Anliegen auf Sie zu, hat er/ sie ein Bedürfnis, einen Wunsch oder ein Ziel, das er/ sie verfolgt. Diese können mit den ihren überein stimmen oder auch vollkommen entgegengesetzt liegen. Beides ist vollkommen in Ordnung.
Der 1. Schritt mit solchen Situationen umzugehen ist: Innehalten
Lassen Sich sich nicht überrumpeln! Atmen Sie zwei Mal tief durch und stellen sich dann folgende Frage: "Habe ich jetzt und hier die Konzentration und die Zeit; mich mit diesem Anliegen zu beschäftigen und dem/derjenigen eine Antwort zu geben?"
Falls ja, dann tun Sie es mit ihrer vollen Aufmerksamkeit (das ist Achtsamkeit!).
Falls nein, dann kommunizieren Sie das auch. Wir sagen oft Dinge zu, obwohl wir mit dem Kopf und unserer Aufmerksamkeit nicht bei der Sache sind und merken dann erst im Nachhinein, was wir uns „eingebrockt“ haben. Ein paar Sekunden mehr am Anfang sparen einem mitunter Stunden am Ende.
Der 2. Schritt: Ruhe bewahren
Der Antrieb des/der Anderen auf Sie zuzukommen, sind seine/ihre Bedürfnisse, Wünsche und Ziele. Vielleicht ist er/sie die Ruhe selbst und sein/ihr Auftreten eher sachlich und rational. Vielleicht ist er/sie aber emotional "aufgeladen", ist beunruhigt, aufgebracht, frustriert oder ratlos. Hier ist eine gesunde Distanz wichtig!
Lassen Sie sich von seiner/ihrer Energie nicht anstecken, unter Druck setzten oder stressen. Machen Sie sich bewusst, dass SEINE/IHRE Emotionen das Ergebnis seiner/ihrer Sicht (Bewertung) der Umstände sind und diese mit ihrer eigenen nicht übereinstimmen muss.
Mitgefühl und Verständnis machen Sie menschlich – Mitleid macht Sie zum Opfer. Werden Sie zum Beobachter und machen Sie sich ihr EIGENES Bild, so sachlich und neutral wie möglich. Konzentrieren Sie sich auf die Fakten und vermeiden Sie Interpretationen, Befürchtungen, Annahmen oder subjektive Bewertungen.
Andernfalls riskieren Sie sich darin zu verlieren, weit entfernt davon, eine „vernünftige“ Entscheidung treffen zu können. Die Enttäuschung und Wut darüber, dass ihr Chef ihnen um 18:15 noch eine dringende Aufgabe aufs Auge drücken will, obwohl er/sie eigentlich wissen sollte, wie viel Sie zu tun haben, hilft ihnen in dieser Situation leider gar nicht weiter…
Vorsicht auch bei „positiven Bestärkern“ d.h. bewusster oder unbewusster Beeinflussung durch z.B. „Du bist die/der Einzige, der diese Aufgabe so schnell hinkriegt.“, „Du kannst das wirklich am besten“, „Auf Dich kann ich mich immer blind verlassen“, „Du bist meine letzte Hoffnung“. Solche Formulierungen können natürlich der Wahrheit entsprechen, trotzdem ist hier Vorsicht geboten. Sie schmeicheln unserem Ego und unseren tiefsten Bedürfnissen nach Anerkennung, Wertschätzung, Perfektion etc. die leider häufig überhaupt erst der Grund dafür sind, dass wir uns überlastet und gestresst fühlen.
Deshalb ist es so wichtig, ruhig, sachlich und rational zu bleiben, um den 3. Schritt überhaupt gehen zu können...
Der 3. Schritt: Fakten Sammeln
Während die ersten beiden Schritte zwar sehr wichtig sind und auch „trainiert“ werden müssen, erfordern sie keine direkte Aktion, sondern sind eher passiv. Der 3. Schritt ist da schon wesentlich aktiver, wobei der 2. Schritt *Ruhe bewahren“ auch hier seine Gültigkeit behält.
Meist rückt der/die Andere unaufgefordert mit den Fakten heraus oder die Umstände selbst sprechen für sich. Falls nicht, können sie sich an den W-Fragen orientieren (Wer, Wann, Was, Warum, Wie etc.), um den Sachverhalt für zu klären. Vor allem das WAS muss unbedingt GENAU geklärt werden. Für einen Freund, der kein Auto hat, einen ersteigerten Tisch abzuholen klingt nicht kompliziert, vor allem wenn er „vergisst“ zu erwähnen, dass der Tisch in Hamburg ist und 3,50m misst 😉.
Je nach Situation, sollten Sie auf folgende Punkte achten:
- In diesem Schritt werden noch keine Entscheidung getroffen und auch keine Antworten gegeben!! Man neigt manchmal dazu, wichtige Details zu überhören oder ungeklärt zu lassen, weil man in Gedanken schon die Antwort bzw. Reaktion ausarbeitet.
- Halten Sie sich an die Fakten und lassen Sie sich nicht durch die Übertreibungen, Schwarzmalerei oder Panikmache Deines Gegenübers beeinflussen.
- Hinterfragen Sie die Situation ggf. durch Fragen wie z.B. "Was (Fakten!) passiert, wenn XXX nicht erledigt wird? Was passiert im schlimmsten Fall? Warum bzw. wie kam es so weit? Was hat er/sie bereits versucht, um die Situation selbst zu lösen?" Ein Beispiel: eine Kollegin hatte mich mal gebeten eine Aufgabe für sie zu Ende zu führen, weil sie einen dringenden Termin hatte. Ich sagte zu und saß bis 21 Uhr im Büro. Am nächsten Tag erfuhr ich, welcher Termin das war: ein Kinoabend mit ihrem Freund. Hätte ich vorher nachgefragt, hätte ich mich eventuell anders entschieden…
- Fragen Sie nach Alternativen: "Gibt es Alternativen und falls ja, welche? Was könnte er/sie noch tun, um die Situation zu lösen, außer Dich zu fragen? Was wird er/sie tun, wenn Du verneinst?" . Es gibt oft mehr als nur einen Weg. Wenn man emotional aufgewühlt ist, greift man häufig zur naheliegendsten bzw. "einfachsten" Lösung und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Die Antworten können einem auch zeigen, ob man „nur ein dankbares Opfer ist“ oder ob es tatsächlich eine kritische Situation zu bewältigen gilt und jemand Hilfe benötigt.
Der 4. Schritt: Entscheidung treffen
Dieser Schritt ist die logische Konsequenz des 2. und 3. Schrittes – ABER es wird hier noch keine Antwort formuliert oder daran gedacht, wie das Gegenüber reagieren könnte. Es ist wichtig, dass Sie diese beiden Schritte gedanklich voneinander trennen. Hier geht es „nur“ darum, sich ihrer Einstellung, Meinung, Werte, Bedürfnisse und Wünsche bewusst zu werden – es geht um SIE!
Die meisten Entscheidungen sind schnell getroffen, falls Sie jedoch Bedenkzeit brauchen, nehmen Sie bzw. erbitten sich diese und lassen sich nicht unter Druck setzen.
Folgende Fragen können mehr Klarheit schaffen:
- Wie hoch wäre der Aufwand für Sie?
- Haben Sie grundsätzlich die Zeit, Fähigkeiten/ Fertigkeiten, die Energie und die Motivation zu „unterstützen“?
- Was würde eine Entscheidung im Sinne Deines Gegenübers für SIE bedeuten – in negativer, wie auch in positiver Hinsicht? Inwiefern profitieren Sie davon oder „leiden“ darunter? Wichtig! Hier geht es nicht darum, sich zu überlegen, was passiert, wenn Sie es nicht tun, sondern wenn Sie es tun. Bleiben Sie dabei möglichst sachlich und seien Sie vorsichtig mit ihren Erwartungen, sie sind eine wackelige Entscheidungshilfe: wenn man etwas „gibt“ und eine Gegenleistung erwartet, wird man häufig enttäuscht. Die Pflege von Freundschaften, den Dienst am Menschen, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl, Verständnis, Menschlichkeit etc. sind gute und „ehrbare“ Argumente und schaffen ein nachhaltiges, positives Gefühl - sofern Geben und Nehmen in Balance bleiben.
- Was passiert, wenn Sie ablehnen? Egal für wie begrenzt Sie ihren Entscheidungsspielraum halten, es gibt IMMER eine Wahl. Seien Sie aufmerksam und bleiben Sie realistisch indem Sie sich fragen: "Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass XXX passiert?"
- Was ist ihr Gegenüber für ein Typ Mensch? Ist es jemand, der immer auf dem letzten Drücker kommt oder gerne „delegiert“? Ist es der-/diejenige, der/die immer wieder Gefallen einfordert, aber nie Zeit hat zu helfen? Jemand, der gerne „jammert“, sich aber nicht um eine Veränderung bemüht? Passen Sie auf, dass das eigentliche Problem nicht von ihm/ihr zu ihnen verschoben wird, z.B. eine Person, die selbst den Mut nicht findet, etwas abzulehnen und dann händeringend Unterstützung benötigt, um nicht in Schwierigkeiten zu kommen oder jemand, der sich schlecht organisiert und dann in Zeitdruck gerät. Helfen ist das eine, den „Affen“ (die Probleme) eines anderen zu tragen, ist etwas ganz anderes – das hilft auch ihm/ihr auf Dauer nichts.
- Lassen Sie sich nicht „einlullen“ bzw. durch Schmeicheleien beeindrucken. Natürlich hört jeder von uns gerne Positives, wenn es aber immer nur dann erwähnt wird, wenn man etwas geben soll, sollte man aufmerksam werden.
- Und zu guter Letzt das Wichtigste: Was sind ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse, Werte und Ziele? Lassen sie sich mit einer positiven Entscheidung vereinbaren?
Denken Sie daran: SIE SIND ES WERT! SIE SIND WICHTIG! SAGEN SIE JA ZU SICH!
Fühlen Sie in ihren Körper hinein, was „spricht“ ihr Bauch? Wie fühlt sich ihr Körper an? Zieht sich alles in ihnen zusammen, wird ihnen mulmig, verspannen Sie sich? Ihr Körper sendet ihnen Signale…
Und nun treffen Sie ganz bewusst eine Entscheidung. Manchmal geht das schnell, manchmal dauert es ein paar Minuten – gehen Sie einen Tee trinken oder machen Sie einen kurzen Spaziergang um den Block. Manchen Menschen helfen Sie sofort und ohne zu zögern, manchen eher nicht. Bei einigen geben Sie mehr und bereitwilliger, bei anderen eher weniger und zögerlicher – das ist OK und völlig in Ordnung.
Wichtig in diesem Schritt ist es eine Entscheidung zu treffen, sich die Umstände und ihre eigenen Motive, Bedürfnisse, Gefühle und Wünsche bewusst zu machen. Denken Sie hierbei noch nicht daran, wie Sie ihre Entscheidung kommunizieren und wie ihr Gegenüber reagiert – das ist erst der nächste Schritt!
Der 5. Schritt: Antworten
Seine Bedürfnisse, Wünsche, Werte, Meinung und Ziele zu kennen ist wichtig, aber ohne Folge, wenn man diese nicht vertritt. Wenn man NEIN denkt, aber JA sagt, scheitert man häufig am letzten Schritt.
Deshalb hier einige Tipps und Tricks, um erfolgreich zu sich selbst zu stehen:
- ICH BIN OK – DU BIST OK. Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, Werte, Wünsche und Ziele – der/die andere muss sie nicht teilen und das ist vollkommen in Ordnung. Jeder hat aus seiner Sicht gute Gründe dafür. Erlauben Sie sich Bedürfnisse, Wünsche und Ziele zu haben, die ein anderer möglicherweise nicht teilt, versteht oder als gut befindet. Es ist IHR Leben und SIE haben die Pflicht auf sich zu achten und Sie dürfen es sich wert sein.
- SELBST-BEWUSSTSEIN: Körpersprache und Stimme transportieren mehr Informationen, als man gemeinhin denkt. Wenn ihre Körpersprache und/oder Stimme unsicher, ängstlich oder zurückhaltend wirkt, werden ihre Worte bei ihrem Gegenüber nicht den gewünschten Effekt haben. Sorgen, Befürchtungen und Bedenken werden über die Stimme, Mimik und Gestik transportiert, meist unbewusst. Also: Klare, feste Stimme, aufrechte (gerade) Position, beide Füße am Boden schulterbreit auseinander (auch im Sitzen!), Schultern nach hinten, Kinn nach oben, direkter Blick in die Augen und los geht’s!
- RESPEKTVOLL UND SACHLICH BLEIBEN: beruhigen Sie sich, falls Sie aufgebracht oder genervt sind, bevor Sie antworten bzw. in die Konfrontation gehen. Jeder hat das Recht auf seine Meinung und darf sie auch vertreten, auch wenn man sich manchmal etwas mehr Rücksicht oder Mitgefühl wünschen würde. Sie können andere nicht ändern, sondern nur für sich selbst eine Wahl treffen – seien Sie verständnisvoll und mitfühlend mit sich, wo es ein anderer vielleicht nicht ist. Letzten Endes hat auch er/sie seine Beweggründe, Ängste, Stress, Sorgen etc. und wird davon beeinflusst.
- ALTERNATIVEN AUFZEIGEN: Eine Absage lässt sich besser „verdauen“, wenn man sie mit einem Angebot kombiniert und es gibt fast immer etwas, das man anbieten kann. Beispiele: „Es tut mir leid, aber ich kann das heute nicht erledigen, bis Morgen Mittag schaffe ich es aber“ oder „Ich kann Dir das jetzt nicht im Detail erklären, aber ich kann Dir sagen, wo Du es nachlesen kannst.“ Kurz: NEIN….ABER…..
- BEDINGTE ZUSAGE: eine weitere Möglichkeit die Akzeptanz einer Absage zu erhöhen, ist die Zusage an eine (sinnvolle!) Bedingung zu koppeln. Beispiele: „Ich kann Dir die Präsentation machen, wenn jemand anderes die Auswertung macht, an der ich gerade arbeite.“ Kurz: JA….WENN…..
- PRIORISIEREN LASSEN: diese Taktik macht nur gegenüber einer Person Sinn, die zumindest für einige der Themen, die auf ihrem Tisch liegen, die Verantwortung trägt. Wenn die Bälle, die er /sie ihnen zum Jonglieren zugeworfen hat zu viel werden, fragen Sie ihn/ sie, welchen Sie fallen lassen sollen. Beispiel: „Wenn ich die wichtige Präsentation bis heute 17:00 fertig machen soll, muss XX oder XY warten. Was davon soll ich hinten anstellen?“
- BLEIBEN SIE STARK: Ihre Antwort ist raus und nun gilt es, die Reaktion ihres Gegenübers „auszuhalten“. Er oder sie wird reagieren und ist mitunter nicht erfreut. Alle Emotionen sind möglich. Nehmen Sie diese wahr, aber halten Sie innerlich Distanz: es sind seine /ihre Emotionen und nicht ihre und vielleicht war ihre Antwort nicht einmal die direkte Ursache dafür. Verständnis für seine/ ihre Bredouille und Mitgefühl machen Sie menschlich – bleiben Sie aber sich selbst treu und rutschen Sie nicht ins Mitleid. Wenn Sie aus Mitleid für einen anderen sich selbst verleugnen, ist das nicht ehrbar, sondern Selbstzerstörung!
- SEIEN SIE NACHSICHTIG MIT SICH: es wird vielleicht Fälle geben, wo Sie „einknicken“. Nehmen Sie es zur Kenntnis, ärgern Sie sich nicht darüber oder machen sich klein – es ist, was es ist: eine gute Chance daraus zu lernen :-).